‚I’m Dreaming Of A White Christmas‘ tönt Bing Crosby aus der Konserve an irgendeiner Weihnachtsmarkthütte am 3. Dezember auf dem Josef-Görres-Platz in Koblenz. Um mich herum jede Menge Menschen. Sie halten A4-Blätter mit Parolen in den kühlen Abendhimmel und auf der Bühne vor mir ein schweigender Chor, den Mund bepflastert, einige halten die Hand vor den Mund. Der stille Protest richtet sich gegen die – in den Augen der Akteure – unangemessen hohe GEMA-Gebühr für die Chorauftritte im Rahmen des ‚Klingenden Adventskalenders‘, den der Kreis-Chorverband seit 2019 auf dem Weihnachtsmarkt in Koblenz ausrichtet. „An zwei Jahren musste der Adventskalender wegen der Pandemie ausfallen, dann konnten wir 2022 wieder starten und jetzt ist es die GEMA …“, sagt Dietmar Weidenfeller sichtlich resigniert. Der Vorsitzende des Kreis-Chorverbands Koblenz hatte an diesem Abend, ob des starken medialen Interesses, ungewohnt viele Interviews zu geben.
Aber ist dieser Protest berechtigt?
Ich denke schon. Angesichts der Tatsache, dass die GEMA für ‚I’m Dreaming Of A White Christmas‘, von dem erst 1988 verstorbenen Komponisten Irving Berlin, aus der Retorte beschallt 40,00 Euro an Gebühren erhebt. Für das gleiche Lied, am selben Ort live von einem Amateurchor gesungen, sollen aber mehr als 1.200 Euro an die GEMA entrichtet werden – unerheblich ob in einem wenige Minuten dauernden Kurzauftritt oder über den ganzen Tag hinweg. Hier passt offensichtlich etwas nicht zusammen – nämlich die Vereinbarung der Veranstalter des Weihnachtsmarktes mit der GEMA und die Amateurmusik, die sich auch sehr gerne im Rahmen solcher Festivitäten präsentieren möchte.
Hintergrund des Ganzen
ist ein Urteil des Bundesgerichtshofes, bereits vom 27. Oktober 2011. Damals trat unter anderen die Stadt Bochum in Rechtsstreit mit der GEMA, weil sie die Berechnung für Ihre Stadt- und Straßenfeste für unangemessen hielt. Die GEMA hatte zu dieser Zeit keinen Tarif für Freiluftveranstaltungen. Sie berechnete die Vergütung deshalb nach einem Tarif, der für Musikaufführungen in Räumen gilt und bei dem sich die Höhe der Vergütung nach der Größe des Veranstaltungsraumes richtet. Im Falle der Freiluftveranstaltung errechnete sich die Größe der Veranstaltungsfläche vom ersten bis zum letzten Stand und von Häuserwand zu Häuserwand. Gegen diese Praxis klagten die Veranstalter seinerzeit, 2009, vor dem Landgericht Bochum.
Die Veranstalter waren damals der Ansicht, dass nur der Teil der Veranstaltungsfläche in Betracht komme, der unmittelbar von der Bühne mit Musik beschallt werde. Nicht in die Berechnung einfließen dürften daher Flächen, die von Besuchern nicht betreten werden könnten – etwa, weil sich dort Stände befinden – oder dürften. Das solle ebenso für den für eine Nutzung als Veranstaltungsfläche nicht zugelassenen öffentlichen Verkehrsraum gelten oder für Flächen, auf denen die Musik von der Bühne durch andere Musik – beispielsweise von den Ständen – überlagert werde.
Kurz und gut,
der Fall ging vom Landgericht über das Oberlandesgericht bis vor den Bundesgerichtshof. Alle Instanzen bestätigten, dass die GEMA die gesamte Veranstaltungsfläche zur Gebührenberechnung heranziehen DÜRFE. Es sei der Verwertungsgesellschaft nicht zuzumuten, „bei jeder der zahlreichen und verschiedenartigen Veranstaltungen im gesamten Bundesgebiet jeweils die Fläche zu ermitteln, die von der Bühne mit Musik beschallt wird und die Flächen festzustellen, auf denen sich keine Besucher aufhalten können oder dürfen oder auf die andere Musik einwirkt.“
Einleitend hieß es dazu: „Für Freiluftveranstaltungen wie Straßenfeste oder Weihnachtsmärkte sei es typisch, dass das Publikum vor der Bühne ständig wechselt und damit insgesamt wesentlich mehr Zuhörer die Musik wahrnehmen, als auf der beschallten Fläche Platz fänden. Es kommt hinzu, dass die Musik von der Bühne regelmäßig die gesamte Veranstaltung prägt.“ So die Begründung des BGH zum Urteil unter Nr. 171/2011 vom 27.10.2011.
Mittlerweile hat die GEMA mit U-ST einen eigenen Tarif für solche Musikaufführungen im Freien aufgestellt, in dem sich die Höhe der Vergütung nach der Größe der gesamten Veranstaltungsfläche richtet. Nach eigener Aussage setzt die GEMA in diesem Jahr also lediglich mit dem konsequenten Anwenden des Tarifs U-ST ein Gerichtsurteil in voller Härte durch, ‚zu dessen Umsetzung sie angehalten sei‘.
Das aber stimmt nur zum Teil.
Denn die GEMA DARF – ist dazu berechtigt – die ganze Veranstaltungsfläche in Betracht zu nehmen, sie MUSS es aber nicht. Das bedeutet: Die Verantwortlichen haben durchaus Gestaltungsspielraum. ‚Maß halten‘ beim Thema kommunal- oder privat-öffentliche Veranstaltung mit Ensembles der Amateurmusik wäre durchaus angebracht. Und auch, wenn die GEMA über die letzten Jahre die Ansprüche nicht bis zuletzt durchgesetzt hatte, gilt dieses Maß halten insbesondere bei der Amateurmusik, beim Ehrenamt. Dies erbat sich auch der OB der Stadt Koblenz als Veranstalter des Weihnachtsmarktes, David Langner. „Es betrifft nicht nur Koblenz, sondern auch andere Städte und Gemeinden“, stellte er am Abend fest.
Grundsätzlich sind die Veranstalter für die GEMA-Beiträge verantwortlich, nicht die ‚Show-Acts‘. Aber der abgesagte ‚Klingende Adventskalender‘ in Koblenz steht exemplarisch für das Dilemma mit den Auftritten von Amateurensembles im Rahmen kommunaler Feste. Das Resultat kann sein, dass es in Städten keine oder deutlich kleinere Festivitäten mit Livemusik geben wird, was dann nicht nur Verdiensteinbußen für die umliegende Gastronomie zufolge haben wird, sondern auch für alle weiteren mit Festivals zusammenhängende Gewerke. Nach einer SWR-Reportage erkennen die Organisatoren auf dem Mainzer Weihnachtsmarkt allerdings derzeit keinen Besucherrückgang.
Hoffen wir, dass auch landesweite Festivals und Stadtfeste im kommenden Jahr noch stattfinden und sich die Vereinbarungen des Bundesverbandes der Musikveranstalter mit der GEMA letzten Endes nicht noch als Killer von Kultur, Musik und Lebensfreude offenbaren. Denn eigentlich ist es doch Aufgabe de GEMA, Musikschaffenden zu ihren Tantiemen zu verhelfen. Aber wo keine GEMA-pflichtige Aufführung stattfindet, wird es auch keine Tantiemen geben.
Die GEMA ist dazu aufgefordert, nachzubessern.
Wenn schon nicht in der Fläche, dann aber mit anlass- und situationsbezogenen Sondertarifierungen, insbesondere in Zusammenhang mit Ehrenamt und Amateurmusik, damit deren öffentliche Präsentation weiterhin möglich bleibt.
Und was bleibt der Amateurmusik, den Chören nun bei dieser Art Veranstaltungen?
Für die Chöre und Chorvereine im Chorverband Rheinland-Pfalz als Veranstalter ändert sich nicht viel. Diese sind durch die Rahmenvereinbarungen des Verbandes mit der GEMA auf der sicheren Seite.
Bei Auftritten auf Weihnachtsmärkten, auf Stadt- oder Straßenfesten ist allerdings stets der Veranstalter in der Pflicht. Dies sind in der Regel die Organisationen der Stadt, der Kommunen und Gemeinden. Um hier auftreten zu können, wenn der genannte Veranstalter die Gebühr nicht entrichtet, bleibt auf GEMA-freies Repertoire zurückzugreifen. Bei Freiluftveranstaltungen eine möglichst kleine Fläche zu wählen oder Indoor, in geschlossenen Räumen zu singen. Denn merke: Je kleiner, begrenzter die Veranstaltungsfläche, desto geringer ist die Gebühr. Es wird sich noch zeigen, inwieweit die Vereinbarung mit der Dachorganisation, dem Bundesverband der Musikveranstalter, mit der GEMA der Kultur einen Bärendienst erweist, sofern die bisherige Praxis aufrechterhalten wird, was das Einbinden von Amateurensembles betrifft. Dringend wäre der GEMA anempfohlen, von der ‚Kann-Regel‘ Gebrauch zu machen oder mit dem BVMV zu den Auftritten der Ehrenamtlichen in der Amateurmusik eine neue Regelung zu finden.