Nach einem Corona-Jahr des musikalischen Verzichts startet der Bundesmusikverband mit einem 1. Neujahrsappell der Amateurmusik in das Jahr 2021. Geschlossen mit allen seinen 21 Mitgliedsverbänden richtet sich der Dachverband der Amateurmusik an die breite Öffentlichkeit. Die aktuelle Sang- und Klanglosigkeit in den nächsten Monaten zu überwinden, müsse oberstes Ziel sein.
Die andauernde Unterbrechung der Proben- und Konzerttätigkeit betrifft aktuell rund 14 Millionen Menschen, die in Deutschland in ihrer Freizeit aktiv musizieren. Im 1. Neujahrsappell der Amateurmusik richtet sich der Bundesmusikverband an alle Bürger*innen sowie die Entscheidungsträger auf Bundes- und Landesebene.
Der Appell beschreibt die wachsende Sorge der vielen Millionen Menschen, die durch die andauernden Ausfälle nahezu aller Proben und Konzerte aktuell betroffen sind. Über 100.000 Amateurensembles sind in Mitleidenschaft gezogen, gemeinsames Musizieren ist gegenwärtig nicht möglich, es fehlt an Perspektiven für ein Musikleben mit dem Virus.
In ihrem Appell fordern die Unterzeichnenden, den herausgehobenen kulturellen Stellenwert gemeinsamen Musizierens – und damit eingeschlossen insbesondere die musikalische Probenarbeit, Konzert- und Aufführungstätigkeit – neu zu bekräftigen. Gefordert wird unter anderem eine schlüssige Gesamtkonzeption für die Zeit nach dem Lockdown, die den vielen ehrenamtlich organisierten oder kirchlichen Ensembles eine Perspektive bietet.
BMCO-Präsident Benjamin Strasser kommentiert: „Nach einem schwarzen Jahr für die Amateurmusik mit 1.400 Konzertausfällen täglich brauchen wir einen musikalischen Neustart. Für ein Wiedererstarken des gesellschaftlichen Zusammenhalts brauchen wir die Amateurmusik dafür mehr denn je. Denn Musik gehört zu unserem Leben. Sie eint und verbindet uns. Sie tröstet und bestärkt. Sie ist eine universelle Sprache, die nicht verstummen darf.“
Ausgearbeitet wurde der 1. Neujahrsappell der Amateurmusik vom Bundesmusikverband Chor & Orchester e.V. – BMCO – in Kooperation mit seinen 21 bundesweit tätigen, weltlichen und kirchlichen Chor- und Orchesterverbänden.
1. Neujahrsappell der Amateurmusik -Die Sang- und Klanglosigkeit überwinden
In dieser Woche jährt sich das Bekanntwerden der ersten Corona-Infektion in Deutschland. Seit fast einem Jahr dominiert die Corona-Krise unseren Alltag, der sich maßgeblich verändert hat: Nach einer nahezu stillen Weihnacht 2020 ist die Amateurmusikszene zum ersten Mal sang- und klanglos in das neue Jahr 2021 gestartet. Die Verlängerung des Lockdowns und die inzwischen nochmals verschärften Maßnahmen hatten die Musizierenden und ein breites Publikum gerade in der Vorweihnachtszeit besonders hart getroffen. Eine derart ausgedehnte musikarme Advents-, Weihnachts- und Neujahrszeit ist historisch ohne Vorbild.
Verständnis für Maßnahmen
Die andauernde Unterbrechung der Proben- und Konzerttätigkeit betrifft aktuell rund 14 Millionen Menschen, die in Deutschland in ihrer Freizeit aktiv musizieren. Über 100.000 Amateurensembles sind in Mitleidenschaft gezogen – Musikensembles, die mit ihren Konzerten ein ganz entscheidendes Fundament der deutschen Musiklandschaft bilden. Trotz der schmerzlichen Entbehrung der Musik als bedeutendem Teil unseres Lebens und sozialen Miteinanders eint uns alle ein Verständnis für die Notwendigkeit der aktuellen Maßnahmen.
Dank für Unterstützung
Zahlreiche Musizierende haben in den letzten Monaten immer wieder begonnen, Programme zu proben, die sie letztlich nicht aufführen konnten. Die komplette Weihnachtszeit – sonst musikalische wie ökonomische Hochsaison der vokalen und instrumentalen Amateurmusikszene – verstummte mit deutlich spürbaren Einnahmeausfällen.
Wir haben aufmerksam wahrgenommen, dass Bund und Länder große Anstrengungen unternommen haben, um mit Soforthilfen, Kreditprogrammen, Kurzarbeit, Überbrückungshilfen oder der November- und Dezemberhilfe unmittelbar auf die Not im Kulturbereich zu reagieren. Unser Dank gilt besonders Kulturstaatsministerin Monika Grütters, die im Rahmen des Programms NEUSTART KULTUR auch den Amateurmusikbereich bedacht hat. Diese Mittel helfen, unsere Beratungs- und Unterstützungsangebote für die ehrenamtlich getragene Amateurmusikszene in diesen schwierigen Zeiten zu erhalten und zu verbessern.
Wachsende Sorge
Trotz dieser finanziellen Hilfen zur Überwindung der Krise wächst die Sorge um unsere weltweit einmalige Musik-Vielfalt in Deutschland, die herausragende und zugleich besonders schützenswerte Bedeutung unseres Immateriellen Kulturerbes, zu welchem die „Chormusik in deutschen Amateurchören“ (seit 2014) und „Instrumentales Laien- und Amateurmusizieren“ (seit 2016) gehören.
Seit fast einem Jahr finden praktisch keinerlei Konzerte mehr statt. Der Ensembleunterricht an Schulen und Musikschulen ist de facto völlig zusammengebrochen. Ein ganzes Schuljahr – und prognostiziert ein weiteres – wird der Generation der aktuellen Schüler*innen die Erfahrung der Musik fehlen – das wird nachdrückliche Folgen haben. Hinzu kommt die Perspektivlosigkeit der gegenwärtigen Generation von Musik-Studierenden, die vielfach aus den Reihen der Amateurmusik hervorgehen. Die Vernichtung von Berufsbiografien im Bereich musizierender Freiberufler vergrößert unsere Sorge weiter. Bereits jetzt ist zu befürchten, dass die momentane Sang- und Klanglosigkeit zu nachhaltigerer Stille führen kann. Denn ein schnelles Hochfahren der Konzerttätigkeit wird es nach Lockerung der Corona-Maßnahmen nicht einfach geben. Die Aufführungen der Amateurmusik sind das Ergebnis intensiver und kontinuierlicher Probenprozesse über Wochen hinweg. Die Auswirkungen der Musik- und Probenverbote werden alle Chöre und Orchester das ganze Jahr über deutlich spüren. Sie werden zu einem deutlichen Rückgang der Konzertangebote und der musikalischen Jugendbildung führen.
Perspektiven für ein Musik-Leben mit dem Virus
Wir brauchen eine schlüssige Gesamtkonzeption für die Zeit nach dem Lockdown, die den vielen ehrenamtlich organisierten Ensembles eine Perspektive bietet. Das bedeutet auch, dass wir gemeinsam klären müssen, wie wir in den nächsten Monaten mit dem Virus leben können. Kaum jemandem ist bewusst, was eine tragische Konsequenz der aktuellen Musik-Unterbrechung sein wird: viele Ensembles mit älteren Mitgliedern tragen sich bereits mit dem Gedanken ganz aufzuhören, ein ganzer Jahrgang an Nachwuchs ist bereits weggebrochen. Wir beklagen diese schon deutlich erkennbaren Einschnitte und mahnen an, die zu erwartenden Entwicklungen und Rückgänge deutlich vor Augen zu haben. Eine einfache Wiederaufnahme des Amateurmusizierens wird es angesichts berechtigter Sorgen um Wegbrüche im neuen Jahr vielerorts nicht geben.
Unser Beitrag inmitten der Pandemie
Inmitten dieser schwierigen Pandemie eint uns die Überzeugung, dass wir alle Verantwortung dafür tragen, wie wir durch diese Krise kommen. Wir verstehen, dass Kontaktminimierung weiterhin wichtig bleibt, um exponentiell steigende Infektionszahlen zu verhindern. Gerade deshalb haben alle Chor- und Orchestermusizierende im letzten Jahr bereits funktionierende Hygienekonzepte erarbeitet.
Mit hohem Verantwortungsbewusstsein und großer Disziplin haben sich die Musizierenden der Amateurmusik den enormen Herausforderungen der Probenarbeit unter Pandemie-Bedingungen gestellt. Schutzmaßnahmen wie die Einhaltung von Abstandsregelungen, das Tragen von Alltagsmasken, eine regelmäßige gute Durchlüftung der Veranstaltungsräume oder die Installation neuer Lüftungsanlagen zeugen davon, dass der verantwortungsvolle Umgang mit der Krisensituation weiterhin im eigenen Interesse aller Beteiligten steht. Die nachweisbar geringen Infektionszahlen in Proben und Konzerten unterstreichen dies.
Der Bundesmusikverband und alle Unterzeichnenden appellieren mit Blick auf die nächsten Monate und mögliche Öffnungsszenarien daher gemeinsam mit der gesamten Musik- und Kulturszene an die breite Öffentlichkeit, alle Bürger*innen sowie die Verantwortlichen auf Bundes- und Landesebene, den herausgehobenen kulturellen Stellenwert persönlicher musikalischer Betätigung – und damit eingeschlossen insbesondere die musikalische Probenarbeit, Konzert- und Aufführungstätigkeit – neu zu bekräftigen.
Denn Musik gehört zu unserem Leben. Sie eint und verbindet uns. Sie erfüllt, tröstet und bestärkt. Sie ist eine universelle Sprache, die nicht verstummen darf…
Der Bundesmusikverband fordert:
– die Mittel für das stark nachgefragte Bundesprogramm NEUSTART KULTUR, das gerade seine Wirkung entfaltet, angesichts des zweiten Lockdowns dringend aufzustocken und den Förderzeitraum entsprechend über das Jahr 2021 zu verlängern und gerade auch den Amateurmusikbereich finanziell stärker zu unterstützen.
– nach dem Ende des Lockdowns und der Wiederöffnung von Schulen, Proben von Chören und Orchestern nicht pauschal zu verbieten, sondern grundsätzlich zu ermöglichen und im Einzelfall nach vorliegendem Hygienekonzept, das auch die vorliegenden Inzidenzzahlen berücksichtigt, zu entscheiden.
– eine Perspektive zu entwickeln, wie künstlerische Aufführungspraxis vor Publikum wieder möglich gemacht werden kann.
– gemeinsames Musizieren nicht als verzichtbares Freizeitvergnügen einzustufen, sondern als Teil des Mensch-Seins und daher besonders schützenswertes Kulturgut zu verstehen und am Leben zu erhalten.
– die Anwendung und Durchsetzung geltenden Rechts zum Schutz der Menschen vor der Pandemie genauestens gegenüber anderen Grundrechten und -freiheiten wie der Kunstfreiheit abzuwägen.
Der Bundesmusikverband hält es für notwendig:
– nach allen Einschränkungen des gesellschaftlichen Lebens vordringlich die Kulturorte wiederaufzubauen, die für das Wiedererstarken des gesellschaftlichen Zusammenhalts so wichtig sind.
– besonders die Wiederaufnahme von Proben in den Blick zu nehmen, um den weiteren Ausfall und die nachhaltige Vernachlässigung des musikalischen Nachwuchses zu verhindern. Denn daraus würde folgen: Talente verkümmern, die Qualität der musikalischen Bildung leidet.
– noch stärker die vielen freiberuflichen Musiker*innen in den Blick zu nehmen, die trotz hoher Umsatzeinbußen nicht antragsberechtigt für das Überbrückungsgeld I und II sind und daher aktuell durch jegliche Raster fallen.
– bei allen Entscheidungen die Ergebnisse aktueller wissenschaftlicher Studien und daraus abgeleiteter Hygienekonzepte zu berücksichtigen.
– bei Beschränkungen des Betriebs von Musikeinrichtungen oder von Musikveranstaltungen der Bedeutung der Kunstfreiheit Rechnung zu tragen.
Im Wissen, dass eine Wiederaufnahme der kulturellen Lebendigkeit unseres Landes keine Frage des Wollens ist, möchten wir abschließend dennoch bekräftigen, dass das gemeinsame, kirchliche sowie vereinsgetragene Musizieren aufgrund seines herausragenden gesellschaftlichen, sozialen und kulturellen Stellenwerts alsbald wieder ermöglicht werden muss. Pauschale Musikverbote bergen die Gefahr, dass sie das kulturelle Erbe unserer Nation nachhaltig gefährden.
Es bleibt unsere gemeinsame gesellschaftliche Verpflichtung, Menschen in ihrem musikalischen Engagement zu unterstützen, kulturell zu beteiligen und wertzuschätzen.
Der Bundesmusikverband steht im Verbund all seiner Partnerverbände des Amateurmusizierens jederzeit gerne als Gesprächspartner für den Neustart der Amateurmusik zur Verfügung.